Ein kahler Raum, vier graue Wände. Ein weißer Schreibtisch, scheinbar wie leer gefegt. Sterilität in allen Ecken, auf allen Oberflächen. Bin ich hier im OP-Saal oder ist das doch das Zimmer eines Psychiaters? Nein, ich bin schon richtig. Hinter dem Schreibtisch ein groß gewachsener, schlanker Mann, weißer Kittel, Nickelbrille. "Setzen sie sich." Kein Bild an der Wand, kein Teppich auf dem Boden. Eine halbe Stunde vergeht, der Mann spricht kein weiteres Wort. Nur am Anfang ermutigt er mich loszulegen: "Sie können nun beginnen, wir haben circa 30 Minuten Zeit." Ich führe Monolog. Nicken. Keine Gesichtszüge, keine Mimik. Lähmung oder doch Poker-Face? Stille. Viel Stille. Die halbe Stunde ist vorbei. Er beendet sie mit den Worten: "Lorazepam, 1 mg, in der Früh und zur Nacht. Guten Tag."
Ich drehe mich um und verlasse den Raum, wir sehen uns nie wieder.
Ist sie das? Eine typische Begegnung mit dem Psychiater? Sieht es so aus? Das psychiatrische Behandlungskonzept im Jahr 2020? Nein , natürlich NICHT. Das einzige, was eine Begegnung mit dem Psychiater mit oben beschriebener, Alptraum-ähnlicher und furchterregender Erzählung gemeinsam hat ist vielleicht die Dauer des Termins. 30 Minuten im Erstgespräch, das geht sich hin. Ansonsten besteht in der von mir zusammengedichteten Einleitung quasi keinerlei Bezug zur Realität. Und doch: viele Menschen haben eben diese Vorstellung von einer Begegnung mit dem Psychiater.
Psychische Erkrankungen zählen ohne Zweifel zu den klassischen Volkskrankheiten und immer mehr Menschen - so scheint - erkranken an Depression oder leiden unter Angststörungen. Und trotzdem bestehen auch im Jahr 2020 noch immer große Vorurteile gegenüber dem medizinischen Fachgebiet, welches für eben diese Krankheiten über die letzten Jahrzehnte oder Jahrhunderte hinweg die entsprechende Expertise entwickelt hat: die Psychiatrie. Die anhaltenden Klischees über Psychiatrie und Psychotherapie führen bei den meisten Menschen vielmehr zu Angst vor dem Psychiater anstatt zu einem besseren Verstehen der eigenen Krankheit. Das ist schade, denn es gibt Hilfe und jeder in Deutschland hat auch ein Recht auf die Behandlung seiner psychischen "Problemzonen" - ob ärztlich oder therapeutisch. Warum also fällt es vielen Menschen so schwer den Schritt zu wagen und einen Termin mit dem Psychiater zu vereinbaren? Nun, die Assoziationen und Bilder, welche in den Köpfen der Menschen beim Gedanken an "Psychiater" und "Psychiatrie" erscheinen, ähneln eben ganz stark einem Szenario wie dem eingangs beschriebenen.
In diesem Blogartikel habe ich mir vorgenommen aufzuklären und folgende Fragen zu beantworten:
- Was macht ein Psychiater eigentlich?
- Wann komme ICH mit dem Psychiater in Kontakt?
- Und was passiert nun wirklich in einem Erstgespräch beim Psychiater?
Es handelt sich bei diesem Artikel um einen Gastbeitrag, nähere Informationen zu mir als Autorin finden Sie am Ende der Seite.
Was macht ein Psychiater?
Diese Frage könnte man in einem Satz beantworten: "Der Psychiater behandelt psychische Krankheiten." Diese Herleitung hätten Sie aber auch ohne mich tätigen können und sie gibt Ihnen keine wirklich bessere Vorstellung über die psychiatrische Arbeit.
Zunächst sollte man also wissen, wie man den Beruf des Psychiater in der Landschaft der Behandlung psychischer Krankheiten einordnet. Denn: ein Psychiater ist ein Arzt. Und ein Arzt studiert ganz normal Medizin und schließt dann eine entsprechende Facharzt-Weiterbildung an. Die formal richtigere Version von "Psychiater" ist nämlich "Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie". Und genauso wie es einen "Facharzt für Innere Medizin" gibt - dem wir im alltäglichen Leben oft als "Hausarzt" begegnen - gibt es eben auch ein ärztliches Pendant in der Psychiatrie. Die Ausbildung ist wohl die wichtigste Unterscheidung zwischen dem Psychiater und - Achtung, Gefahr der Verwechslung - dem Psychotherapeuten. Ein Psychotherapeut hat im Gegensatz zum Psychiater Psychologie studiert und dann eine Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten gemacht. Ein Therapeut kann also keine Medikamente verschreiben oder somatische (= körperliche) Erkrankungen, wie beispielsweise Diabetes Mellitus oder eine Harnwegsentzündung, feststellen.
Aber: Ein Psychiater wirft nicht nur mit Antidepressiva und Antipsychotika um sich. Das Verschreiben von Medikamenten ist zwar ein nicht zu vernachlässigender Teil der Behandlung von psychischen Erkrankungen, aber es ist eben doch (meistens) nicht alles.
Die eigentlich wichtigste Aufgabe des Psychiaters in der Begegnung mit dem Patienten ist die Stellung der Diagnose. Denn ohne Diagnose ist der Arzt nicht dazu berechtigt eine entsprechende Therapie - egal ob medikamentös oder in Form von Gesprächen - in die Wege zu leiten. Je nachdem, wie der Psychiater also den Patienten im Erstgespräch erlebt und was er in wichtigen medizinischen Befunden liest, entscheidet er dann, was zu tun ist. Ist ambulante Psychotherapie die richtige Lösung? Könnte ein Medikament zum Behandlungserfolg beitragen? Oder sollte sogar ein stationärer Aufenthalt in einer psychiatrischen oder psychosomatischen Einrichtung erwogen werden? All das kann der Psychiater in Form von Empfehlungen festhalten.
Auch in sozialmedizinischen Angelegenheiten, also die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit zum Beispiel, kommt es zum Einsatz eines Psychiaters. Ein weiteres Tätigkeitsfeld des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie sind auch richterliche Prozesse, in welchen ein psychiatrisches Gutachten benötigt wird. Hier muss der Psychiater also beispielsweise die Frage beantworten, ob der Täter bei der Tat ausreichend "zurechnungsfähig" war oder ob - salopp ausgedrückt - eine mögliche psychische Störung "Schuld" gewesen sein könnte.
Und eine weitere wichtige Information: in seiner Facharztausbildung lernt der Psychiater neben der organischen Wirkungsweise von irgendwelchen Hormonen und Botenstoffen auch noch etwas anderes: das Reden! Denn schließlich ist er ja dann ein Facharzt für Psychiatrie UND Psychotherapie! Das therapeutische Arbeiten, egal ob verhaltenstherapeutisch, tiefenpsychologisch fundiert oder psychoanalytisch, ist also in die Ausbildung des Psychiaters fest integriert. Niemand muss im Erstgespräch mit dem Psychiater also einer Mauer gegenüber sitzen und 30 Minuten über seine Probleme, Ängste, Wünsche und Träume monologisieren. Weiter unten im Blogartikel erfahren Sie, wie ein solches Erstgespräch stattdessen aussieht.
Wann komme ich mit dem Psychiater in Kontakt?
Die Wege zum Psychiater sind vielseitig. Die meisten Menschen kommen über ihren Hausarzt zum Psychiater. Denn oft ist der Hausarzt eben der primäre Ansprechpartner, wenn sich die Gesundheit eines Menschen verändert. Falls der Hausarzt für bestimmte Symptome beispielsweise keine organische Ursachen findet und einen Auslöser auf psychischer Ebene vermutet, so verweist er ihn zu einem Psychiater in der Gegend. So läuft das beispielsweise auch in den meisten Fällen der depressiven Erkrankung ab. Der Patient selbst stellt bei sich entsprechende Symptome fest, weiß sich nicht mehr alleine zu helfen und sucht bei seinem Hausarzt des Vertrauens um Rat. Der kennt die grundlegenden Anzeichen einer Depression und kann im nächsten Schritt eine Vorstellung beim Psychiater empfehlen. Der Psychiater wiederum ist eben Spezialist auf seinem Gebiet und kann die Depression - falls wirklich eine vorliegen sollte - genauer definieren und differenzieren. Dies ermöglicht dann eine für den Patienten passende Therapie in die Wege zu leiten - ambulant oder stationär, ausschließlich therapeutisch oder auch medikamentös.
Wie man bei sich selbst Symptome einer Depression erkennen kann, hat Frau Dr. Liebmann übrigens im Blogartikel "Wenn die Seele weint" ausgeführt. Um zum Artikel zu gelangen, klicken Sie einfach auf diesen Button:
In anderen Fällen kommt es auch vor, dass einem von einer Freundin, einem Bekannten oder dem Cousin dritten Grades ein bestimmter Psychiater empfohlen wird. Das ist natürlich auch eine Möglichkeit und jederzeit kann ein Termin beim Psychiater auch auf Eigeninitiative vereinbart werden.
Wie ist es denn bei Frau Dr. Liebmann? Kann ich da wirklich einfach hingehen und "Hallo" sagen? Im Prinzip ja. Also ohne Termin könnte es schwierig werden, da es bei Frau Liebmann - wie bei allen anderen Psychiatern auch - nicht an Patienten mit Gesprächsbedarf mangelt. Aber telefonisch oder per Mail können Sie jederzeit ein Erstgespräch vereinbaren. Falls eine ambulante, psychotherapeutische Behandlung in Ihrem Fall eine denkbare Lösung wäre, könnte Frau Liebmann als Leiterin der Insititutsambulanz von AMEOS Süd möglicherweise auch einen Therapieplatz für Sie einrichten. Dies ist keine Selbstverständlichkeit - in den meisten Fällen müssen sich Patienten unabhängig von einem geeignet Psychiater auch nach einem freien Therapieplatz umsehen.
Wann und ob man letztlich mit einem Psychiater in Kontakt kommt, ist natürlich eine sehr persönliche Sache. Die meisten leicht bis mittelgradig psychisch erkrankten Menschen unter uns können ja (noch) selbst entscheiden, ob sie eine psychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nehmen wollen. Sie werden also höchstwahrscheinlich nicht zum Kontakt mit einem Psychiater gezwungen. Sollte ihr Leidensdruck jedoch so groß sein, dass sie das Gefühl haben, Hilfe oder auch nur ein informierendes Beratungsgespräch zu benötigen - melden Sie sich einfach.
Was passiert nun wirklich beim Psychiater?
Eingangs beschriebene Erfahrung entspricht wohl dem Alptraum eines jeden, der einen Termin mit dem Psychiater vereinbart. Wie gut, dass es sich dabei nur um eine Phantasie handelt, welche in keinster Weise der Wirklichkeit entspricht. Aber wie sieht denn dann ein Erstgespräch aus?
Nun, der erste Schritt passiert immer über die modernen Kommunikationswege, also per Mail oder Telefon: die Terminvereinbarung. Steht der Termin erst einmal im Kalender sind sie fix eingeplant, kein Entkommen mehr. Nein, natürlich haben Sie immer noch die Möglichkeit den Termin wieder abzusagen. Fair wäre es im Sinne der Zeitplanung jedoch, wenn dies mindestens 24 Stunden zuvor geschieht.
Wenn Sie es bei dem vereinbarten Termin belassen, kommen Sie also zur ausgemachten Zeit in die Praxis des Psychiaters oder in die Klinik, in welcher dieser tätig ist. Kommen Sie einige Minuten früher, sodass Sie sich vor dem Gespräch noch einmal sammeln können und nicht unnötig gestresst sind.
Ein psychiatrisches Erstgespräch dauert in der Regel 30 Minuten. In dieser halben Stunde wird sich der Psychiater ein Bild davon machen, ob sie krank sind und wenn ja, wie schwer sie krank sind. Nach dem Gespräch werden Sie ganz eindeutig wissen, welches weitere Vorgehen der Psychiater empfiehlt. Nach Ihrem Termin - das versichere ich Ihnen - haben Sie Gewissheit darüber, dass es etwas gibt, das für genau Sie in genau Ihrer Situation gut helfen könnte.
Eines kann ich Ihnen ebenfalls zu 100% versichern: diese halbe Stunde wird für Sie wie im Flug vergehen. Auch wenn Sie sich vielleicht im Vorhinein Gedanken darüber machen, was Sie sagen könnten oder wie Sie beginnen könnten - seien Sie unbesorgt und überlassen Sie dem Psychiater den Einstieg ins Gespräch. Eine erste Frage des Arztes kann sein: "Was führt Sie denn zu mir?" Oder auch: "Wie geht es Ihnen denn?" Bestimmt sind Sie ein wenig aufgeregt beim Gedanken an Ihr Erstgespräch und so kommt es, dass Sie sich die Tage und Stunden vor dem Termin mit Sicherheit damit beschäftigen, wie der Termin wohl verlaufen wird. Gerne können Sie sich bereits Antworten auf obige Fragen zurechtlegen.
Auch ist es wichtig zum Erstgespräch zwei notwendige, medizinische Befunde mitzubringen, sodass der Psychiater diese in seine Untersuchung miteinbeziehen kann: Blutwerte und ein EKG, beides bestenfalls maximal wenige Tage bis Wochen alt. Am besten wäre es also, sie gingen vor dem Termin mit dem Psychiater noch einmal zu ihrem Hausarzt und lassen diese Untersuchung durchführen.
Wichtig zu wissen ist auch, dass Sie für dieses Gespräch nicht selbst aufkommen müssen. In Deutschland ist jeder versicherungspflichtig und Ihre Versicherung kommt ganz normal wie für jeden Arztbesuch auch für den Termin beim Psychiater auf. Auch haben Sie im weiteren Verlauf Ihrer Behandlung einen Anspruch auf Psychotherapie - das bedeutet, dass Sie nach entsprechender Diagnosestellung auch für die ambulante Gesprächstherapie beispielsweise nicht selbst zahlen müssen. Ausnahme ist natürlich eine Behandlung in einer Praxis ausschließlich für Selbstzahler (ist gleich Privatpatienten).
Fassen wir zusammen.
- Sie müssen bei einem Psychiater keine halbe Stunde monologisieren. Psychiater im Jahr 2020 haben in ihrer Facharzt-Ausbildung auch das Reden gelernt.
- Es zwingt Sie niemand zu irgendetwas. Es wird lediglich informiert und eine Empfehlung ausgesprochen.
- Für jeden Patienten gibt es eine für ihn in seiner Situation passende Therapiemöglichkeit. Die Einnahme von Medikamenten kann ein Teil davon sein, muss es aber nicht. Es gibt genügend Fälle, in denen ambulante Psychotherapie das Mittel der Wahl ist und vom Psychiater kein Medikament angesetzt wird.
- In der Vorbereitung auf Ihr Gespräch können Sie Antworten auf Fragen, wie "Was führt Sie denn zu mir?" oder "Wie geht es Ihnen denn?" vorbereiten, müssen das aber nicht. Der Psychiater wird sie sicher durch den Termin führen, ohne dass Sie einen besonderen Druck verspüren oder das Gefühl haben, etwas Falsches gesagt haben zu können.
- Sie müssen für Ihr Gespräch NICHT selbst zahlen, Ihre Krankenversicherung übernimmt die Kosten.
- Bringen Sie am besten zu Ihrem Gespräch auch Ihre Blutwerte und ein EKG mit, welches Sie im Vorhinein bei Ihrem Hausarzt haben machen lassen.
Was ist also meine Kernaussage, meine "main message" dieses Blogartikels? Nun, am deutlichsten bei Leser und Leserin angekommen möchte ich folgende Botschaft wissen: Haben Sie keine Angst. Sich vor dem Psychiater zu fürchten ist echt out und vollkommen unbegründet. Ein Psychiater will Sie nicht manipulieren und Ihnen auf Teufel komm raus irgendwelche Substanzen verschreiben, die Sie in irgendeiner Form abhängig machen sollen. Nein. Ein Psychiater im Jahr 2020 ist ein Arzt, der reden kann und vor allem ein Mensch, der Ihnen helfen möchte. Also: Lassen Sie sich helfen.
Zur Autorin
Mein Name ist Lea Skapetze. Ich bin zum Zeitpunkt der Erscheinung dieses Artikels 18 Jahre alt und mache ein Praktikum über mehrere Monate hinweg bei Frau Dr. Liebmann. Da mir Frau Liebmann die Chance gibt, immer wieder bei ihren Terminen mit dabei zu sein, konnte ich mir als Außenstehende bereits ein relativ gutes Bild von der Tätigkeit einer Psychiaterin machen. Diese Eindrücke habe ich in diesem Blogartikel für Sie festgehalten. Ich hoffe, mir ist es gelungen, einige unwahre Klischees und Vorurteile über den Beruf des Psychiaters aufzuräumen.